
Projektmanagement ist ein Thema, mit dem sich viele Kollegen meiner Branche befassen. Vieles dreht sich momentan um agile Methoden und um deren Für und Wider. Dabei hat sich in den vergangenen Monaten parallel dazu eine ganz andere Art der Initiative im Bereich Projektmanagement entwickelt, nämlich openPM. Die großen Organisationen im Projektmanagement werden nicht zuletzt mit ihren Mitgliedschaften und Zertifizierungen in Frage gestellt. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne Dr. Marcus Raitner, den Initiator und Sprecher der Initiative, zu openPM befragen.
Interview
[Treffpunkt]
Hallo Marcus, wir sind uns bisher noch nicht persönlich begegnet und sind, wenn man so will, „Internetbekanntschaften“. Als ich vor einiger Zeit auf Deinen Blog misc stieß, war ich von Deinen Beiträgen sofort begeistert. Irgendwann tauchte dann im November 2012 der openPM-Blog auf und seitdem lese ich auch in den Blogs aus dem Dunstkreis Deiner Mitstreiter. Ich glaube, dass Du etwas mitzuteilen hast und ich habe mich gefreut, dass Du dem Interview sofort zugestimmt hast.
Marcus, erzählst Du uns etwas über Dich? Was machst Du beruflich? Was treibt Dich an? Wofür begeisterst Du Dich?
[Dr. Marcus Raitner]
Danke Thomas, für das viele Lob. Für mich ist mein Blog die Möglichkeit öffentlich über Themen und Fragen nachzudenken. Seit dem Entschluss Anfang 2010 bei der esc Solutions GmbH einzusteigen, beschäftigt mich alles rund um IT-Projektmanagement intensiv. Vorher hatte mich das Thema operativ als Projektmanager schon viel beschäftigt, aber mit dem beruflichen Wechsel auf die Geschäftsleitungsebene eines noch jungen Unternehmens, musste und wollte ich mich viel intensiver damit auseinander setzen. Es ging darum unsere Mission zu schärfen. Und beim Schreiben kann ich noch immer am besten nachdenken oder frei nach Kleist: „Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Schreiben.“
Ich habe Informatik studiert und das möglichst praxisfern mit Mathematik als Nebenfach. Die reine Lehre sozusagen. Das war in einer Zeit in der Open Source populär wurde und dann mit dem Web 2.0 kollaborative Unternehmungen wie Wikipedia. Ich war und bin immer noch fasziniert von der freiwilligen, idealistischen Schaffenskraft von Menschen. In gewisser Weise hätte ich es natürlich gerne, wenn auch mein Blog als ein solcher Beitrag verstanden würde.
Als ich mich nach der Promotion (an einem Lehrstuhl für theoretische Informatik wohlgemerkt) endlich in die harte Realität wagte, passierte mir das, was vielen Fachkräften passiert, sie werden Projektmanager und haben davon keine Ahnung. Mehrtägige Kurse und Zertifizierungen halfen da dann auch nicht viel, denn erst die praktischen Erfahrungen formen den erfolgreichen Projektmanager. Und darum geht es mir im Kern: wie wird aus einer Fachkraft ein guter Projektmanager und eine gute Führungskraft.
[Treffpunkt]
Was ist openPM? Worum geht es dabei?
[Dr. Marcus Raitner]
Ich zitiere mal aus unserer Erklärung: „Open-PM (#openpm) ist eine offene, frei zugängliche, unabhängige und nicht kommerzielle Plattform für Projektmanagement und alle, die an Projekten arbeiten. Aus der Praxis für die Praxis werden qualitativ hochwertige, interdisziplinäre, vielfältige und unter einer freien Lizenz nutzbare Tools und Prozesse als zentral verfügbares Know-How gesammelt, bereitgestellt und gemeinsam weiter entwickelt.“
Letztlich ist openPM der Versuch, die Erfahrung die Projektmanager in der Praxis machen, an einer zentralen Stelle zusammenzuführen und daraus einen Mehrwert für alle die in Projekten arbeiten zu generieren. Ich sehe, dass es ein großes Bedürfnis gibt eigene Erfahrungen zu teilen und mitzuteilen: sonst gäbe es nicht so viele Blogs zum Thema Projektmanagement. Gleichzeitig scheint es wenig zentrale Anlaufstellen in den etablierten PM-Organisationen wie der GPM oder PMI zu geben. Ich sehe also Bereitschaft zum Teilen verteilt auf viele virtuelle Orte und glaube, dass es sich lohnt das zusammenzuführen. Welchen Mehrwert und welche Inspiration es bringen kann, wenn über Standes- und Glaubensgrenzen (agil / klassisch) über Projektmanagement diskutiert wird, hat nicht zuletzt der unglaubliche Erfolg des PM-Camp 2011 in Dornbirn gezeigt.
Soweit meine Vorstellung von openPM. Wohin es sich entwickeln wird und was es dann sein wird, weiß ich nicht: openPM ist das was wir alle daraus machen!
Knowledge is like sex: it’s better when it’s free
[Treffpunkt]
Wer sind Deine Mitstreiter bei openPM?
[Dr. Marcus Raitner]
Seit dem PM-Camp im November 2011 arbeitet ein Kernteam an der Bereitstellung der Plattform inklusive eines passenden rechtlichen Rahmens (gemeinnütziger Verein):
- Marcus Raitner (Sprecher)
- Thomas Mathoi (Bau.Projekt.Management.Blog)
- Klaus L. Schiff-Stilbauer (schiff-stilbauer.at)
- Roland Baldenhofer (Guggat emol)
- Bernhard Schloß (schlossBlog)
- Falk Schmidt (falkschmidt.com)
- Fabian Fier (fabianfier.de)
- Christian Vogel (Google+ Profil)
Immer wieder hilft auch Rainer Eschen (http://blog.rainwebs.net/) mit und treibt uns an. Mitstreiter sind aber im Großen und Ganzen die mittlerweile über 100 Unterzeichner der openPM-Erklärung.
[Treffpunkt]
Für wen ist openPM? Wer ist Eure Zielgruppe?
[Dr. Marcus Raitner]
Alle die in Projekten arbeiten. Egal ob Programmmanager oder Student. Egal ob agil oder klassisch. Egal ob Scrum oder Wasserfall. Genauer gesagt: je vielfältiger desto besser. Die Gräben z.B. zwischen agil und klassisch sind ohnehin zu tief. Dabei könnten beide Seiten viel voneinander lernen.
[Treffpunkt]
Wie weit seid Ihr mit der Ausarbeitung von openPM bis jetzt gekommen?
[Dr. Marcus Raitner]
Wir haben einen Namen, seit kurzen auch ein sehr schickes Logo, die technische Plattform und auch schon die ersten Inhalte und Struktur für die Inhalte, damit niemand auf einer leeren Seite starten muss. Wir sind derzeit in Abstimmung mit dem Finanzamt München zwecks Anerkennung der Gemeinnützigkeit und werden dann den Verein zum Betrieb von openPM offiziell gründen.
Und dann geht’s los für alle.
[Treffpunkt]
Warum einen offenen Standard? Es gibt das PMI, die IPMA bzw. GPM und das OGC bzw. die APMG mit PRINCE2, reicht das nicht?
[Dr. Marcus Raitner]
Das ist leider ein viel geglaubter Irrtum: Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zu bestehenden Standards. Im Gegenteil: wir sind der Meinung, dass die Abgrenzung der Standards und Strömungen gegeneinander bessere Lösungen in der Praxis verhindert. Open-PM setzt dort an, wo Standards und Strömungen tagtäglich ineinander fließen, nämlich in der Praxis. Aus diesen praktischen Erfahrungen, im Sinne von best-practices, wollen wir gemeinsam lernen. Open-PM wird eine Plattform sein, um sich mit Projektmanagement praxisnah und unabhängig von Standards und Verbänden zu beschäftigen, Erfahrungen zu teilen, voneinander zu lernen und Methoden gemeinsam weiterzuentwickeln (http://misc.raitner.de/2011/11/open-pm-klaerungen/).
[Treffpunkt]
Soll openPM auch die agilen Methoden berücksichtigen?
[Dr. Marcus Raitner]
Absolut! Es ist doch auch nur eine andere (oder vielleicht gar nicht so andere?) Art ein Projekt abzuwickeln. Was in der Praxis funktioniert ist gut!
[Treffpunkt]
Wird es openPM Zertifizierungen geben?
[Dr. Marcus Raitner]
Nachdem es (zunächst) keinen Standard gibt, kann es keine Zertifizierung geben. Ich selbst bin kein Freund von Zertifikaten. Viel mehr zählt für mich das, was jemand macht, wofür er steht und auch was er mit anderen teilt. Und das alles kann ich auf openPM sehen.
[Treffpunkt]
Du bist Senior Partner bei der esc Solutions GmbH und hast dort vermutlich genug zu tun. Woher nimmst Du das Engagement für openPM? Was treibt Dich an, openPM voran zu bringen?
[Dr. Marcus Raitner]
Zeit haben wir alle gleich viel: alles nur eine Frage der Prioritäten. Nachdem wir noch ein junges und kleines Unternehmen sind, gibt es noch nicht vielen internen administrativen Overhead und insofern bleibt mir schon ein wenig Zeit. Allerdings findet die meiste Arbeit zu openPM auch in meiner Freizeit statt oder immer wieder zwischendurch. Als Sprecher ist es meine Aufgabe ja eher mich zu vernetzen und über openPM zu reden (so wie jetzt) und das geht ganz gut zwischendurch.
Wie gesagt fasziniert mich das freiwillige Engagement von Menschen im Dienste einer größeren Sache schon seit langem und Projektmanagement ist ohnehin mein Thema. Ich bin überzeugt, wir alle können von openPM profitieren. Und sei es nur, dass wir interessante Leute kennenlernen und davon habe ich jetzt schon jede Menge kennenlernen dürfen.
[Treffpunkt]
Vielen Dank für das interessante Interview. Ich glaube, dieses Thema wird noch viele Freunde und Befürworter finden. Mich hast Du jedenfalls für dieses Thema gewonnen. Ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg mit dem Aufbau und der Verbreitung von openPM.
Hier das noch relativ frische und offizielle openPM Logo:
openPM ist heute live gegangen: Anmelden, mitmachen und Synergien für’s eigene Projekt nutzen.
http://openpm.info